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Das digitalisierte Krankenhaus – eine Bestandsaufnahme

In der grundlegenden Definition beschreibt Digitalisierung die Umwandlung ursprünglich analoger Formate in digitale Daten, die sich informationstechnisch verarbeiten lassen. Ein typisch analoges Format ist das Papier – und so verwundert es nicht, dass die papierlose Fabrik, das papierlose Büro und eben das papierlose Krankenhaus zu Gradmessern wurden, um den Fortschritt der Digitalisierung zu beschreiben. Doch wo stehen wir eigentlich heute?

Die sagenumwobene Digitalisierung ist auch zum Ende des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert eher antizipiertes Ziel denn finalisierte Tatsache. In manchen Branchen mag man sich vielleicht schon in Sichtweite des Zieleinlaufs befinden – das Gesundheitswesen gehört nach allgemeinem Dafürhalten allerdings nicht dazu. Schon lange hat sich herumgesprochen, dass hier – um im Bild zu bleiben – statt eines kurzen, intensiven Sprints vielmehr ein Marathon gelaufen wird.

Digitalisierung – in der grundlegenden Definition geht es dabei um die Umwandlung ursprünglich analoger Formate in digitale Daten, die sich informationstechnisch verarbeiten lassen. Ein typisch analoges Format ist das Papier – und so verwundert es nicht, dass die papierlose Fabrik, das papierlose Büro und eben das papierlose Krankenhaus zu Gradmessern wurden, um den Fortschritt der Digitalisierung zu beschreiben.

Zielsetzungen der Digitalisierung im Krankenhaus

Wie wird ein Krankenhaus papierlos? Wichtig ist vor allem, dass es nicht nur darum gehen darf, alles, was vorher auf Papier dokumentiert wurde, eins zu eins in digitale Formate umzuwandeln. Auch die damit verbundenen Prozesse sollten einer grundlegenden Revision unterzogen werden, sonst werden sich die globalen positiven Effekte, die man sich gemeinhin von der Digital Transition verspricht, zum Beispiel Effizienzsteigerung, Umweltschutz und Ressourcenschonung, nicht einstellen.

Bricht man diese recht allgemein formulierten Maßgaben auf die situativen Gegebenheiten des Gesundheitswesens herunter, ergeben sich konkretere Zielsetzungen wie:

  • Vollständigkeit und unmittelbare Verfügbarkeit von (Patienten-)Informationen
  • Prozessorientierte Informationsaufbereitung und Prozessoptimierung, z.B. durch Workflowmanagement
  • Medizinische Entscheidungshilfen durch dezidierte Informationsanalyse (Clinical Decision Support)
  • Automatisierte Melde- und Frühwarnsysteme, z.B. CIRS, klinisches Risikomanagement
  • Orientierungshilfen und Compliance-Unterstützung durch Datamining
  • Automatisierte Verteilung von Informationen bzw. Aufgaben, z.B. im Rahmen eines systematischen Qualitätsmanagements
  • Verbesserung des Datenschutzes
  • Entlastung der Mitarbeiter

Die elektronische Patientenakte

Und wo stehen wir heute? Die elektronische Patientenakte (ePA) ist ein guter Ansatzpunkt, um die Veränderungen nachzuvollziehen. Bis 2012 waren Patientenakten im deutschen Krankenhausmarkt noch vorrangig papierbasiert organisiert. Um die gigantischen Papierarchive handhaben zu können, waren (und sind) elektronische Aktenverwaltungssysteme im Einsatz.

Mittlerweile befinden wir uns zweifelsohne mitten in einem Digitalisierungsschub – auch wenn dieser Weg zuweilen etwas holprig zu sein scheint. Oder, um die Analogie vom Anfang noch einmal aufzugreifen: Nicht umsonst steigen beim Marathon ab Kilometer 20 die gesundheitlichen Risiken – allerdings nur, wenn man sich nicht gut auf das Rennen vorbereitet hat. Die Investition in eine durchdachte Digitalisierungsstrategie lohnt sich in jedem Fall. Und auch wenn die Ziellinie im deutschen Gesundheitswesen noch etwas weiter entfernt zu sein scheint: Prognosen gehen davon aus, dass etwa ab dem Jahr 2025 in Sachen ePA eine mehr oder weniger vollständige Marktdurchdringung erreicht sein wird.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Die älteren Generationen werden zunehmend – auch im Gesundheitswesen – von Digital Natives abgelöst, für die der Umgang mit digitalen Formaten zur alltäglichen Lebenswelt gehört. Für sie ist in Zeiten von Google & Co. die unmittelbare Verfügbarkeit von Informationen zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Allgegenwärtigkeit und schiere Masse an Informationen hat außerdem dazu geführt, dass sie ohne IT-Unterstützung kaum noch handhabbar sind. Zusätzlich hat sich die vorhandene Infrastruktur in den Krankenhäusern – genauso wie die Ergonomie der Anwendungen – kontinuierlich verbessert. Und nicht zuletzt wurden die Zeichen der Zeit mittlerweile auch vom Gesetzgeber erkannt, der langsam aber sicher damit begonnen hat, auch legislativ den Boden für eine vernetzte Medizin zu bereiten.

Dennoch: Wo es Treiber gibt, sind die Hemmnisse nicht weit. So sind etwa die Anforderungen des Datenschutzes ein komplexes Thema und fordern ihren eigenen Anteil an Ressourcen und Know-how, der nicht immer unmittelbar zur Verfügung steht. Bürokratische Hürden werden oftmals als zu hoch empfunden. Und in vielen Fällen sind es ganz andere Faktoren – allem voran der Mangel an Fachkräften – die zu einer Verlangsamung der Digital Transition führen.

Um zu messen, wie weit fortgeschritten die Implementierung der ePA im Krankenhaus ist, kann zum Beispiel das achtstufige Electronic Medical Record Adoption Model – kurz EMRAM – von HIMSS Analytics herangezogen werden. Es reicht von basaler, dezentraler Digitalisierung (Stufe 0) hin zu einer vollständig in verschiedenste Prozesse eingebundenen digitalen Patientenakte (Stufe 7). Das Stufenmodell sieht vor, dass die nächsthöhere Stufe nur erreicht werden kann, wenn alle Anforderungen des vorhergehenden Levels erfüllt sind. Die Bewertung erfolgt durch externe Gutachter der HIMSS. Das Modell beurteilt vor allem den allgemeinen klinischen Nutzen, der aus dem Einsatz digitaler Systeme im Zusammenhang mit der ePA entsteht und ist einfach handhabbar. Allerdings kann daraus für das jeweilige Haus keine individuelle Kosten-Nutzen-Relation abgeleitet werden. In Europa sind derzeit etwa 2.500 Krankenhäuser EMRAM-zertifiziert, nur vier erreichen Stufe 7. In Deutschland haben zwei Kliniken Stufe 6 erreicht. Andere Reifegradmodelle, etwa das der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Großkrankenhäuser (AKG), orientieren sich am COBIT Maturity Model.

Ob der Aufwand, der mit einer externen Bewertung der eigenen IT einhergeht, in Kauf genommen wird oder nicht, liegt natürlich im Ermessen der Häuser. Es kann aber sicherlich hilfreich sein, sich an den Kernaussagen etablierter Modelle zu orientieren, um den eigenen IT-Reifegrad zu beurteilen und weiterzuentwickeln.

Und die anderen Abteilungen?

Nun ist es aber so, dass ein Krankenhaus nicht nur aus den klinischen Fachabteilungen besteht, sondern auch aus einem nicht zu unterschätzenden Verwaltungsapparat. Die Papierlosigkeit einer Klinik ausschließlich auf die Handhabung einer elektronischen Patientenakte zu beziehen, greift daher zu kurz. Auch in der Buchhaltung, im Qualitätsmanagement, in der Personalabteilung, im Einkauf oder in der Materialwirtschaft wird Papier gewälzt. Und das nicht zu knapp. Ein papierloses Krankenhaus sollte seine Prozesse in allen Abteilungen digital abbilden können. Dass es auch hier nicht darum geht, alles eins zu eins zu übernehmen und auch sonst weiter zu machen wie bisher, versteht sich fast von selbst.

Digitalisierung führt über Strukturebenen

Vielmehr führt der Weg zur papierlosen Welt über die Strukturebenen: Basis einer jeden Digitalisierungsstrategie ist immer die Infrastruktur. Hier geht es um die Art der Netzanbindung, um Übertragungsprotokolle, Bandbreitenmanagement, Encryption. Aber auch darum, ob man z.B. Datenbanken und Server zentral oder dezentral organisiert und welche Client-Technologien Verwendung finden. Eine Ist-Analyse der Infrastruktursituation beinhaltet zum Beispiel, wie viele Rechner bzw. Geräte an ein System angeschlossen sind und ob Informationen bruchfrei an die Stellen gelangen können, wo sie benötigt werden.

Darauf setzt die syntaktische Ebene auf: Nur durch die konsequente Anwendung internationaler Standards wie HL7, DICOM, XML oder CSV kann die Integrationsfähigkeit der einzelnen medizinischen und nicht-medizinischen Applikationen sichergestellt werden. Auch die Einbindung externer Datenquellen, etwa auf Grundlage von IHE-Profilen, fällt in diesen Bereich. Zusammen mit der Infrastruktur ergibt sich ein Gerüst, über das Inhalte transportiert werden können.

Dass diese Inhalte von anderen Systemen bzw. Anwendungen verstanden werden, fällt unter die Semantik. Hier geht es um die Definition medizinischer Werte und Begriffe – sowohl aus strukturierten (CDA, XML) wie auch aus unstrukturierten Dokumenten (Volltextsuche, Formularerkennung aus Scanimages). Die semantische Erschließung von Informationen ist unabdingbar, wenn beispielsweise ein Clinical Decision Support-System zum Einsatz kommen soll. Eine derartige medizinische Entscheidungshilfe kann aber nur funktionieren, wenn die Informationen vollständig sind – und hierfür ist wiederum eine lückenlose, syntaktische Anbindung aller Subsysteme erforderlich. Auch für nicht-klinische Abteilungen und Prozesse ist ein gemeinsames Vokabular der einzelnen Anwendungen hilfreich, um verlustfrei kommunizieren zu können.

Alle drei Ebenen sind notwendig, damit die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Anwendungen entlang eines Prozesses funktioniert. Erst wenn es keine Unterbrechungen oder Unregelmäßigkeiten in der Informationsweitergabe mehr gibt, kann ganz auf Papier verzichtet werden.


Summary:

Die Forderung nach dem digitalisierten, papierlosen Krankenhaus ist nicht neu. Der Begriff ist in mancher Hinsicht sogar überstrapaziert. Dennoch: Die Investition in eine klare Strategie lohnt sich immer – doch welche Ansatzpunkte helfen auf dem Weg dahin?

Der erste Schritt hin zu einer Digitalisierungsstrategie besteht darin, sich darüber im Klaren zu sein, dass Digitalisierung nicht bedeutet, papierbasierte Prozesse eins zu eins zu digitalisieren. Vielmehr müssen diese einer gründlichen Revision und Anpassung unterzogen werden.

Um den eigenen IT-Reifegrad zu analysieren und weiterzuentwickeln, kann es sinnvoll sein, sich an etablierten Modellen – etwa EMRAM oder dem Modell der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Großkrankenhäuser – zu orientieren.

Wichtig ist dabei die Einbeziehung der Strukturebenen: Erst wenn die notwendige Infrastruktur voll ausgebaut ist, kann mittels syntaktischer Standards (XML, DICOM, CDA, CSV, IHE) ein Gerüst zur lückenlosen Anbindung unterschiedlichster Systeme gebaut werden. Und nur wenn die einzelnen Applikationen die gleiche Sprache sprechen, kann die Kommunikation verlustfrei funktionieren (Semantik). Auch die Zielsetzungen einer Digitalisierungsstrategie können dieser Hierarchie folgen: Erst die Infrastruktur, dann die Syntaktik und zum Schluss die Semantik.

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Das NEXUS / MARABU Redaktionsteam besteht aus Mitarbeitern verschiedener Fachabteilungen, die ihren Erfahrungsschatz sowie interessante News und Links zu Branchenthemen abwechselnd in unserem Magazin veröffentlichen.

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